Interview der Schülerzeitung mit Frau Anzt

Was für ein Verhältnis hatten Sie zu Ihren Eltern?

Ich war für meine Eltern der wichtigste Teil ihres Lebens und habe mich immer geliebt und angenommen gefühlt. Das betrachte ich als großes Privileg.“ Ihr Blick wandert zu den Schülern, die das Geschehen aus der hinteren Ecke des Saals beobachten. „Ich wünsche euch, dass ihr wisst, wovon ich spreche. Meine Eltern hatten genauso auch ihre strengen Seiten, aber das widerspricht sich ja nicht. Sie wollten, dass ich später mit beiden Beinen stabil im Leben bestehen kann. Ich erinnere mich, als ich wegen dem Kurzschuljahrensystem schon nach dreieinhalb Jahren aufs Gymnasium kam und in der ersten Deutscharbeit plötzlich eine vier geschrieben habe. Das war schon ein Schock für mich, weil in meiner Familie viel Wert auf eine ordentliche Bildung gelegt wurde. Mein Vater hat sich zum Beispiel ein Gedicht von mir aufsagen lassen, das ich in der Schule lernen sollte. Da habe ich schon Schweißausbrüche bekommen. Auch wenn ich mich bei ihm beschwert habe, dass es anderen nun einmal leichter fällt und ich es nicht kann, kam konsequent die Aussage ‚Red keinen Stuss!‘. Auch gab es strenge Regeln, wenn es darum ging, abends länger unterwegs zu sein oder ich durfte nicht mit auf die Berlinfahrt, weil mein Vater mich nicht zu unserem ehemaligen Fluchtort lassen wollte. Aber im Großen und Ganzen hatte ich trotz allem, wie Sie es richtig erzählt haben, ein enges Verhältnis zu meinen Eltern, wobei meine Mutter glücklicherweise noch lebt.

Wie war es für Sie in einer Sozialwohnung aufzuwachsen?

Durch diese Umstände habe ich der Lebenswirklichkeit früh ins Auge geschaut. In der gegenüberliegenden Wohnung war zum Beispiel immer einer der Söhne im Gefängnis und mit meiner besten Freundin habe ich draußen spielen müssen, weil bei ihr in einer 65-Quadratmeterwohnung für drei Kinder, Eltern und Opa schlicht kein Platz dafür war. Ich bin in der Tat nicht in materiellem Luxus aufgewachsen, dafür aber in luxuriösen Umständen, was das Thema Zuneigung betrifft. Und das viele Spielen draußen hat mich nicht gestört, schließlich wurde mir die Natur geradezu in die Wiege gelegt.

Wie meinen Sie das?

Ich bin mit meinen Eltern oft im Wald gewesen und mein Großvater war Gutsverwalter beim Förster. Die Verwandtschaft väterlicherseits war im Allgemeinen eine Försterfamilie. Daher kommt auch mein Vorname Silvia, was auf Deutsch Wald heißt. Trotz habe ich den Spaß an Gartenarbeit erst als Erwachsene gefunden und ich wollte übrigens nie, wie man munkelt, Floristin werden, aber eine nette weitere Option wäre es im Nachhinein schon gewesen. Schließlich mache ich gerne die Tischgestecke für die Abifeiern oder wenn Besuch von der Kommission von außen kommt.

Was hatten Sie als Kind stattdessen für berufliche Vorstellungen?

Mein Traumberuf war von klein auf immer Mathelehrerin, abgesehen von einer kurzen Phase, in der ich überzeugt war, ich werde die erste Frau auf dem Mond. Mathe war seit der fünften Klasse mein Lieblingsfach, wohingegen ich übrigens Geographie gehasst habe. In der sechsten Klasse habe ich meiner Oma gesagt, dass ich Oberstudienrätin in Mathematik werden möchte und es wurde nie in Frage gestellt. Es ist die Ästhetik hinter dem System, die mich schon immer angezogen hat.

Und letztlich haben Sie Mathe und Physik studiert. Wie kam es zu diesem Zweitfach?

Physik habe ich zusätzlich genommen, weil ich noch ein zweites Fach gebraucht habe. Aber ich mache es auch gerne. Meinem Abitur sieht man das jedoch nicht an. Ich war in der Abschlussprüfung von Mathe schlecht und wurde auch in Physik nicht gut eingereicht. Nach meinen Noten würde man ein Germanistik- oder Geschichtsstudium vermuten, wobei ersteres eigentlich nicht zu meinen größten Stärken gehört. Ich brauche Ewigkeiten, um eine Rede zu schreiben.

Und wie kam es schließlich dazu, dass Sie Schulleiterin geworden sind?

Anfangs war ich nur Teilzeitkraft, aber ich hatte Kontakte zu Leuten, die mich gefragt haben, ob ich nicht ihre Stelle übernehmen wolle oder mich im Ministerium für Schulentwicklung und in der deutschen Direktorenvereinigung aufgenommen haben. Dadurch hatte ich schon früh viel Erfahrung von Schule und den verschiedenen Perspektiven. Nach klassischerweise einem Bewerbungsgespräch und einer Beurteilung des Unterrichts wurde ich als Stellvertreterin am TMG angenommen. Ehrlich gesagt, habe ich gar nicht damit gerechnet, dass man mich zusammen mit der damaligen Schulleiterin als zweite Frau anstellt, weil das in Karlsruhe eigentlich unüblich war. Als diese dann gegangen ist, wollte ich mir von einer neuen Schulleitung nichts sagen lassen, weil die Konrektorenstelle nicht in ihren Aufgaben festgelegt ist und ich auf Wunsch der Neuen sonst vieles hätte verändern müssen. Deshalb habe ich mich selbst auf den Job beworben und wurde,wie man sieht, angenommen.

Warum macht man solch eine zeitintensive Arbeit? Was ist die Motivation dahinter?

Es ist das Glück, eine Arbeit zu machen, die man nicht ungern macht. Meine Motivation ist es, jungen erwachsenen Menschen ein zweites Zuhause zu geben und ihnen Werte zu vermitteln, die unsere Gesellschaft weitertragen und den Schülern zu einem glücklichen Leben verhelfen. Das überwiegt die negativen Seiten, denn es ist eine zeitintensive Arbeit. Allerdings kann man dadurch leider kaum verhindern, Kontakte zu vernachlässigen und es schwieriger ist, Freundschaften aufrecht zu erhalten. Ich habe ein Enkelkind am Bodensee, das ich deshalb in den Herbstferien nicht besuchen konnte. Außerdem ist der Stundenlohn wohl geringer als beim Lehrer und das Gehalt könnte ich mit ein paar Nachhilfestunden von wohlhabenden Eltern auch verdienen. Und Macht ist übrigens kein Grund. Die Lehrer sind zwar in einem Abhängigkeitsverhältnis, was Distanz schafft und mich manchmal ein bisschen einsam fühlen lassen hat. Jedoch muss ich machen, was das Schulministerium sagt und ich kann den Lehrern als Angestellte des Staates nur bedingt etwas anhaben.

Aber etwas müssen Sie doch verändert haben können?

Ich hatte keine großen Visionen bezüglich Schule, aber es war mir wichtig, organisatorische Rahmenbedingungen zu schaffen, die für Schüler und Lehrer zuträglich sind. Beispielsweise habe ich nach Einführung des G8s die Stundenaufteilung so verschoben, dass die 10. Klässler 36 Wochenstunden haben statt den vorgesehenen 38. Dann habe ich das Sprachprofil Englisch, Latein und dritte Fremdsprache Französisch abgeschafft, weil letzteres nur möglich gewesen wäre, wenn man Latein als zweite Sprache gewählt hätte und man sich somit schon in der sechsten Klasse festlegen musste. Außerdem habe ich erst vor kurzem IMP als drittes Profil neu eingeführt, weil ich es für falsch erachtet habe, dass in unserer heutigen Zeit Informatik das letzte Mal in der siebten Klasse angedacht ist. Ein letztes Beispiel ist die Noteneingabe am Rechner, so dass man mittlerweile sehen kann, wie sich ein Kind über die Jahre hinweg entwickelt hat. Für mich persönlich waren früher als verschwatzte und mäßig ehrgeizige aber doch gute Schülerin Noten nicht so wichtig, aber ich erkenne heute den Wert der Noten. Sie zeigen, wie sich ein Schüler entwickelt. Wenn er gut ist oder man sieht, wie er über die Jahre besser wird, ist es schön, wenn man das an dem Rechner sehen kann. Genauso erleichtert man dem Kind das Leben, wenn man anhand der Noten bemerkt, dass es nicht auf die Schulart passt und dann entsprechend handeln kann. Ich weiß, ihr Schüler beschwert euch oft über ungerechte Noten“, fährt sie mit einem Blick auf die Kinder fort. „Allerdings werdet ihr nie wieder eine Note bekommen, bei der sich Beteiligte so viele Gedanken machen. Bei meiner ersten Bewerbung auf die Konrektorenstelle habe ich beispielsweise eine Absage bekommen ohne angehängten Grund. Erst im Nachhinein habe ich von meinem damaligen Chef erfahren, dass das vorherzusehen war, da der ehemalige Stellvertreter aus dem Ausland zurückgekehrt ist und sich wieder darauf beworben hat. Bei der Bewerbung am TMG war ich hingegen die einzige Kandidatin. Die aktuelle Transparenz ist später nicht mehr der Normalfall.

Wie hat sich das Thema ‘Handy im Schulgelände‘ seit dem Aufkommen der Geräte entwickelt?

Vor einigen Jahren hat Herr Ayas einen Antrag auf eine Handyzone gestellt. Ich fand die Idee früher gut, aber heute bin ich froh, dass es vom Kollegium abgeschmettert wurde. Ich beobachte es genauso bei mir, dass man leicht Gefahr läuft, eine Abhängigkeit in Hinblick auf digitale Medien zu entwickeln. Herr Kunz (ein ehemaliger Lehrer am TMG) hat damals eine flammende Rede mit Erfahrungsberichten bezüglich seines Sohnes gehalten, die glücklicherweise dazu geführt hat, dass nichts aus dem Vorschlag wurde.

An Fasching haben Sie immer aufwendige Kostüme getragen. Freuen Sie sich jedes Jahr auf das Fest?

Ich persönlich bin kein Faschingstyp. Die Kostüme an Fasching habe ich eher angezogen, weil sich die SMV so viel Mühe gemacht hat und ich weiß, dass die Kleinen Fasching lieben. In meinem Leben war ich erst auf zwei Umzügen: einmal als Kind und einmal mit meinen Kindern. Ich war immer froh, wenn andere für mich gegangen sind.

Hatten Sie Spaß an Ihrer Arbeit?

Ja, den hatte ich. Allerdings hätte mir gewünscht, mehr positiven Kontakt mit den Schülern zu haben, anstatt überwiegend die Aufgabe der Ordnungsmaßnahmen auszuführen. Aber ich mache meinen Job gerne und freue mich gleichzeitig auf die Zeit danach.

Wie werden Sie all die Freizeit in den nächsten Jahren nutzen?

Viele Radtouren machen, Zeit draußen in der Sonne und im Wasser genießen, Krimis lesen, Tatort gucken, mehr Gartenarbeit machen und endlich mal nach Rom fahren.

Möchten Sie noch etwas erzählen, was Ihnen auf dem Herzen liegt?

Gerne. Ich möchte euch von meinem beeindruckendsten Erlebnis im ersten Jahr als Stellvertreterin erzählen:

Die Schulleiterin war auf einer Fortbildung und ihr Zug wurde angehalten, weil ein Täter dort geflüchtet ist. Deshalb war ich alleine, als sich die Putzkraft Frau Puschmann sich bei mir beschwert hat, dass in dem damaligen Klassenraum 290 ein roter Kreis auf den Boden gemalt war, den man wegen dem Noppenboden kaum beseitigen konnte. Nach meiner Stundenplanrecherche war die J2 schuld. Ich bin wutentbrannt in deren Unterrichtsräume gelaufen und habe ihnen eine Standpauke gehalten. Sie sollten dafür sorgen, dass es verschwindet. Im Nachhinein kamen mir Zweifel, weil jeder Kurs mir mit großen Augen seine Unschuld bezeugt hat. Deshalb habe ich der Stufe am nächsten Tag eine große Packung Merci geschenkt, um mich für die falsche Anschuldigung zu entschuldigen. Später kamen die Kurssprecher und haben mir die Schokolade zurückgegeben mit den Worten, dass sie es nicht annehmen können, da es doch einer von ihnen war und sie nicht sagen wollen wer. Dieser Zusammenhalt hat mich mächtig beeindruckt und tief berührt. Ich bin an eine Schule gekommen, da sind wirklich anständige Schüler, war mein Gedanke. Ich war gerne hier, auch weil ich sofort offen angenommen wurde. Zum Beispiel wurde ich bei einer Tanzvorführung für die Abifeier gefragt, ob ich nicht mitmachen wolle. Frau Baumgärtner hat die Choreo erstellt und wir haben mit Frau Mielke, Frau Reidinger und Frau Beyrich getanzt. Also vielen Dank an euch alle. Das Leben besteht nicht nur aus Erfolgen, aber ich habe viel Glück gehabt. Dafür seid ihr als meine Mitmenschen mitverantwortlich.

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